15
Aug
2007

Abschied

6


Ein bohrendes „Warum“ steht seit gestern im Raum, krümmt sich wie ein Fleischhaken in das Gedärm und zerrt wie ein sich verbeißender Hund.

Seit gestern weiß ich: Martina ist tot. Freiwillig gegangen um den 16. Juni, schweigend, abschiedslos, längst beerdigt auf einem Wiener Friedhof, glanzlos, wie man eben eine handvoll Asche auf den Weg verstreut.

Die, die ihr nahe standen, vielleicht nicht nah genug, quälen sich nun mit der Frage nach dem „warum“, ohne eine Chance auf eine letzte, endgültige Gewissheit zu haben.

Und vielleicht könnte es Martina, wenn wir sie jetzt hören könnten, auch nicht erklären. Sie litt an Schwermut und Depressionen; ein intensives Leben, dem sie schonungslos begegnete und das sie letztlich in ihrer Wehrlosigkeit auszehrte, forderte Wegegeld für den Zugang zu den Palästen der Hedonie.

Ihre Seele war verletzt, das war spürbar. Martina litt. An ihrem Umfeld, an sich selbst, an dem Unvermögen, sich dem noch entreißen zu können. Sie litt an den letztlich gegen sie selbst gerichteten und im falschen Moment ausgelebten Aggressionen gegen die, die sie mochten. Ihr Lebenstunnel, der nur Einsamkeit und Finsternis bot, wurde enger und dunkler, Antworten auf Lebens- und Sinnfragen drangen in diesem Lebenslabyrinth nicht mehr durch.

Sie ahnte ihren Weg. Der Eintrag http://kussine.twoday.net/20070529 lässt tief blicken.
Und doch brach sie durch die Tunnelwände oft eine Nische, um sich ein kleines Stück hinauszuhorchen in die wechselwarme Wirklichkeit, um auf ihre eigene Art mitzuteilen, dass das Leben in ihr verglimmte. Um dem quälenden Wahnsinn entgegen zu lachen. Um zu zeigen, dass noch ein Fünkchen Glut in der wachsenden Asche glimmerte. Um zu zeigen, dass sie hinter all den Narben und Krusten des Lebens liebenswert war und die Zuwendungen aufsog wie ein Schwamm.

Wir haben uns viel geschrieben, viel miteinander geredet, gelacht wie die Kinder, über unmögliche Dinge und mögliche Träume. Wenig davon ist wahr geworden, und selbst kleinen Hoffnungen trat das Schicksal mit schwerem Tritt das Licht aus.

Martina, wir sind uns nie begegnet, aber wir haben uns gekannt, über viele Jahre. Wohl nie gut genug. Dein Tod reißt mich in eine Nachdenklichkeit, die viele Gedanken gebiert, aber nur wenige Worte. Ich mag dich immer noch. Mehr. Als gestern.

Schlafe gut in deinem neuen, nie gekannten Frieden. Und achte nicht auf meine Hände, die sich hilflos ineinander verknoten, als wollte ich beten.


Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

[Hermann Hesse]



Rosenblaetter
956mal gelesen
GrossKusSine - 15. Aug, 10:36

Mein Flügelchen..

..ich finde keine Worte und ich danke dir aus dem tiefsten inneren meines Herzen,dass du die Worte fandest die ich nicht finden konnte!
Tausende Gedanken überfluten mich, reissen mich mit, ich kann mich nirgends halten..ich bin haltlos geworden!

Tanzlehrer - 15. Aug, 11:55

Ich möchte Leuchtturm sein
In Sturm und Wind
Für Dorsch und Stint
Für jedes Boot
Und bin doch selbst
Ein Schiff in Not.

(Wolfgang Borchert)
ange_du_soleil - 15. Aug, 21:22

Ich kann nicht so viel dazu sagen, mir war gleich in den ersten Worten klar, wer Martina ist.
Das was ich sehe ist, Schuld ...die ihr vielleicht jetzt bei euch sucht.

Ich hatte es auch mal versucht mit ihr, aber ich musste erkennen, das man da nicht helfen kann .... nur sie alleine hätte sich helfen können, das jedoch hat sie strikt abgelehnt. Sie war, soweit ich sie HIER sah ein gebrochener Mensch, der um sich geschlagen hat ...wie wild ...der verzweifelt war, aber Mauern hochgezogen hat, und die Chance an sie heranzukommen war gleich null.

Es wird ihr besser gehen ...glaubt mir das jetzt einfach mal!

Tanzlehrer - 15. Aug, 22:10

Du schätzt es schon gut ein, vielleicht sogar hinsichtlich der bitteren Konsequenz, dass niemand wirklich eine Chance hatte, den Abstieg in die Hölle nachhaltig aufzuhalten.
Danke, dass du nicht wegsiehst.
Das tut mir gut.
origami - 15. Aug, 22:18

"Die Zurückgebliebenen leiden unsagbar - auch und gerade an der Frage, was hätte man für sie tun können, wie ihr helfen. Hätte man?
Ich glaube nicht.
Ein Mensch, der sich für den Weg in die bodenlose Einsamkeit "entscheidet", der von seinem innersten Selbst tiefer und tiefer in diesen Abgrund hineingezogen wird, kann die Tür zu seinem Verließ schlussendlich nur selber aufstoßen, sofern die Kraft und der Wille dazu wenigstens noch ansatzweise vorhanden sind.
Nur dann kann man helfen, wenn einer sich irgendwie noch selber helfen will.
Aber das ist auch kein Trost."

Liebe ange, ich kannte Martina nicht, nur aus ihren Einträgen, aber ich sehe es wie Du.
Diese Sicht habe ich heute Nachmittag auch so, s.o., formuliert, in einer Mail an Tanzlehrer.
Und ich glaube, es stimmt auch.
Tanzlehrer - 15. Aug, 22:23

Ich denke, die Sicht ist auch ein Bestandteil des Abschiednehmens - so individuell wie die Beziehung zu der Person, die nicht mehr ist.
Wahrscheinlich ist es sogar gut, dass die Sichtweisen sich unterscheiden. Sie sind wie ein Kreis, der sich um "sie" bildet und erst so ein Bild "rund" macht.
ange_du_soleil - 16. Aug, 07:42

Das wäre nicht ich, wenn ich wegschauen würde! Ich schaue nicht weg. Martina - so Leid es mir tut - wie war drauf und dran mich "abzuschlachten" und alles nur weil ich ihr zu "nahe" kam ...ich bin nicht blind und ich bin mir sicher sie hat es gemerkt. Sie war wütend auf mich, sie war aufgebracht und sie hat selber nicht gemerkt was sie da eigentlich tut ... keiner hätte aus der Ferne ihr helfen können.

Es hört sich hart an, ich bin mir sicher, sie war nicht mehr therapierbar!
Lady in Black - 16. Aug, 08:58

Ich kann mir das alles genau so vorstellen, wie ihr das beschreibt. Habe nur wenige mails mit ihr gewechselt, aber da klang ihre "Stimme" ganz klar und verständlich. Ich meine herausgelesen zu haben, dass sie auch ein Opfer der Männer war. Ist vielleicht ein generelles Problem wunderschöner Frauen. Es wird sich gerne mit ihnen geschmückt, aber die inneren Werte werden nicht beachtet und wenn dann mit zunehmendem Alter die Schönheit langsam verblasst, werden sie aufs Abstellgleis verfrachtet. Vielleicht hat man sie zuoft nur benutzt und dann > ex und hopp. Ich kann gut nachempfinden, wie "Frau" sich dann fühlt. Man flüchtet sich eventuell in Süchte und in ein exessives Leben. > Ein einziger Schrei nach wahrer und beständiger Liebe, nach Anerkennung....vielleicht......
Nachtbriefkasten - 16. Aug, 10:02

~~~~~

escape - 18. Mai, 23:42

:-(

Danke - Tanzlehrer - für den Link hierher.
Es nimmt mich mit ...

Kannte sie jemand von uns Bloggern persönlich?

Mir rinnen die Tränen, denn ich habe den zerbrochenen Menschen
nicht in ihr erkannt.
Eher jemanden, der auf herrliche Weise mit dem Leben kokettiert ...

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