Abschied

Ein bohrendes „Warum“ steht seit gestern im Raum, krümmt sich wie ein Fleischhaken in das Gedärm und zerrt wie ein sich verbeißender Hund.
Seit gestern weiß ich: Martina ist tot. Freiwillig gegangen um den 16. Juni, schweigend, abschiedslos, längst beerdigt auf einem Wiener Friedhof, glanzlos, wie man eben eine handvoll Asche auf den Weg verstreut.
Die, die ihr nahe standen, vielleicht nicht nah genug, quälen sich nun mit der Frage nach dem „warum“, ohne eine Chance auf eine letzte, endgültige Gewissheit zu haben.
Und vielleicht könnte es Martina, wenn wir sie jetzt hören könnten, auch nicht erklären. Sie litt an Schwermut und Depressionen; ein intensives Leben, dem sie schonungslos begegnete und das sie letztlich in ihrer Wehrlosigkeit auszehrte, forderte Wegegeld für den Zugang zu den Palästen der Hedonie.
Ihre Seele war verletzt, das war spürbar. Martina litt. An ihrem Umfeld, an sich selbst, an dem Unvermögen, sich dem noch entreißen zu können. Sie litt an den letztlich gegen sie selbst gerichteten und im falschen Moment ausgelebten Aggressionen gegen die, die sie mochten. Ihr Lebenstunnel, der nur Einsamkeit und Finsternis bot, wurde enger und dunkler, Antworten auf Lebens- und Sinnfragen drangen in diesem Lebenslabyrinth nicht mehr durch.
Sie ahnte ihren Weg. Der Eintrag http://kussine.twoday.net/20070529 lässt tief blicken.
Und doch brach sie durch die Tunnelwände oft eine Nische, um sich ein kleines Stück hinauszuhorchen in die wechselwarme Wirklichkeit, um auf ihre eigene Art mitzuteilen, dass das Leben in ihr verglimmte. Um dem quälenden Wahnsinn entgegen zu lachen. Um zu zeigen, dass noch ein Fünkchen Glut in der wachsenden Asche glimmerte. Um zu zeigen, dass sie hinter all den Narben und Krusten des Lebens liebenswert war und die Zuwendungen aufsog wie ein Schwamm.
Wir haben uns viel geschrieben, viel miteinander geredet, gelacht wie die Kinder, über unmögliche Dinge und mögliche Träume. Wenig davon ist wahr geworden, und selbst kleinen Hoffnungen trat das Schicksal mit schwerem Tritt das Licht aus.
Martina, wir sind uns nie begegnet, aber wir haben uns gekannt, über viele Jahre. Wohl nie gut genug. Dein Tod reißt mich in eine Nachdenklichkeit, die viele Gedanken gebiert, aber nur wenige Worte. Ich mag dich immer noch. Mehr. Als gestern.
Schlafe gut in deinem neuen, nie gekannten Frieden. Und achte nicht auf meine Hände, die sich hilflos ineinander verknoten, als wollte ich beten.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
[Hermann Hesse]

Tanzlehrer - 15. Aug, 00:01
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